Jubiläum der Hebammenzentrale
Ninia LaGrande
Im Sommer 2016 habe ich so viel telefoniert wie in meinem ganzen Leben nicht. Kurz vorher hielt ich in der Studierendenunterkunft in St. Andrews in Schottland einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Das hatten wir uns gewünscht, aber es kam auch überraschend. Vor allem, weil ich vorher zwei Schwarzbier in einem Pub getrunken hatte und mir erst dann einfiel, dass ich schon zu lange auf meine Periode wartete. Drei große Herausforderungen sind im Leben als werdende Eltern zu meistern: einen Kita-Platz finden, eine Kinderarztpraxis finden – und eine Hebamme finden. Also tippte ich mir die Finger wund, um Mailbox-Ansagen und Entschuldigungen zu hören bis mir, wie auf der Suche nach Passierschein A38 und dem heiligen Gral, eine fröhliche Stimme mitteilte, dass sie noch Kapazitäten habe.
In dem Jahr stiegen die Geburtenzahlen, ich befand mich also im Trend – und das führte dazu, dass Hebammen eine deutliche Mehrbelastung zu spüren bekamen. Schätzungsweise 30 Prozent der Frauen waren 2013-2017 ohne Hebammenbegleitung. Wahrscheinlich war meine Telefon-Odyssee der Tropfen auf dem heißen Stein, der 2017 dazu führte, dass in der Region Hannover ein runder Tisch zur Verbesserung der geburtshilflichen Situation gegründet wurde. Bis 2019 dann die Hebammenzentrale Hannover ihren Betrieb aufnehmen konnte. In der Zwischenzeit hatte ich geboren, mein Kind zwei Wochen auf der Intensivstation besucht, es nach Hause geholt und von meiner eigenen Hebamme Handgriffe gelernt, akzeptiert, dass eine Kaiserschnittnarbe eine Verletzung ist, die geschont werden muss und so viele Positionen zum Stillen ausprobiert wie in den letzten zweitausend Jahren erfunden wurden.
Die Geschichte der Hebammen geht zurück bis mindestens ins 3. Jahrhundert vor Christus. Kaum ein Beruf hat gleichzeitig so eine Historie und Wichtigkeit. Und trotzdem hatten sie immer zu kämpfen. Wurden sie im Mittelalter teilweise als Hexen verbrannt, so glaubten studierte Chirurgen später, sie könnten Geburten besser begleiten (und ggf. mehr Gold damit verdienen). Weshalb sie im siebzehnten Jahrhundert begannen, sich zu organisieren. Louise Bourgeois war eine Hebamme am französischen Königshof und veröffentlichte 1609 ihr Buch „Observationen“. Es war das erste Buch, das von einer Frau geschrieben wurde, rund um Geburtshilfe und Frauengesundheit – und der Beginn eines Kampfes für mehr Anerkennung in der Medizin. Auf Bourgeois folgten immer mehr Hebammen, die veröffentlichten und sich organisierten. Bis nach einer langen Geschichte des Aufs und Abs, geprägt von Vereinnahmung und Diskriminierung der Beruf 2019 akademisiert wurde. Sie wissen das alle. Und trotzdem hört die Diskussion mit der Politik nicht auf. Hebammen sollten ab 2025 aus dem Pflegebudget der Krankenhäuser gestrichen werden. Es ist nur einer großen Welle an Kritik und einer Petition zu verdanken, dass Gesundheitsminister Lauterbach beschloss, die Hebammen sollten im Pflegebudget bleiben. Manchmal will man alle Beteiligten schütteln und fragen, wie zur Hölle sie sich das alles vorstellen. Ob die, die das in der Politik beschließen, schon einmal bei einer Geburt (oder bei Vor- und Nachsorge, bei den kurz gestaffelten Terminen, den Sorgen und Nöten, der Betreuung und ALL DEM ANDEREN), OB SIE DENN SCHON EINMAL DABEI WAREN. Oder ob sich die Budgetkürzungen vermutlich leichter am Schreibtisch beschließen lassen.
Erst nachdem ich selbst Mutter geworden war, rückte die Situation der Hebammen mehr in mein Blickfeld. Das ist traurig, denn es geht uns alle als Gesellschaft an, wie es um die Versorgung von Schwangeren und Eltern steht – auch, wenn wir als Individuen keine Kinder haben oder das Spiel vor langer Zeit durchgespielt haben. Aber es ist wie es ist und Gebärende, Kinder und ihre Sicherheit haben keine Lobby. Und so betreuen fast die Hälfte der im Kreißsaal tätigen Hebammen drei Frauen parallel – selbst vier oder mehr Frauen sind keine Seltenheit. Zwei Drittel der Hebammen müssen regelmäßig Vertretungen übernehmen, sie können Pausen nicht einhalten und müssen Überstunden machen. Freiberufliche Hebammen sind in ihrer Existenz immer wieder bedroht. Die Pauschalen sind unabhängig von Aufwand und Zeit – und bei den Krankenkassen sind die News rund um allgegenwärtige Krisen nicht angekommen, anders kann man sich die verpassten Erhöhungen nicht erklären. Der bürokratische Aufwand ist enorm, die Haftpflichtversicherung absurd hoch – wer anfängt sich damit zu beschäftigen, muss alles dreimal lesen, weil man die Zahlen kaum glauben kann. Wer sich damit tatsächlich beschäftigt, kann das nur durchhalten, wenn man es mit Herzblut und aus Überzeugung macht.
Wem erzähl ich das, was?
Klingt richtig vertrauenswürdig, wenn man sich solche Zahlen als Schwangere vorher anschauen würde. Macht man hoffentlich nicht so genau. Während in meinem Umfeld darüber diskutiert wird, wie man für weniger Arbeit mehr Geld und Freizeit bekommen kann und dass man ja auch noch Zeit für die Familie und ein eigenes Leben bräuchte, gehen Hebammen in der Klinik auf dem Zahnfleisch und lächeln vermutlich auch das noch freundlich weg, wenn die nächste Frau mit Wehen auf’s Knöpfchen drückt.
Umso besser, dass es seit fünf Jahren eine zentrale Ansprechstelle für alle gibt. In der man Hilfe, Kontakte und Vernetzung finden kann. Auch hierfür muss erst einmal der politische Wille da sein. Und politischer Wille heißt übersetzt immer Geld. Es braucht darüber hinaus Arbeitsräume, Ausstattung, Akquise und Bekanntmachung. All das existiert nun seit einer halben Dekade und es möge darüber hinaus noch lange existieren. Nie wieder möchte ich mich mit Freundinnen über Telefonnummern von Hebammen austauschen müssen, als wären es geheime Informationen der CIA. Hebammen retten Leben. Ich kann das nach meiner eigenen Erfahrung nicht anders sagen. An dieser Stelle gilt ein Grundsatz, mit dem ich aufgewachsen bin: Bildet Banden. Wer politisch nur wenig Beachtung findet, muss sich zusammentun und laut werden. Das ist anstrengend. Aber es ist wirksam.
Inzwischen ist die Hebammenzentrale in Hannover die größte in Niedersachsen. Sechzehn Hebammenzentralen gibt es in unserem Bundesland insgesamt. Sechzehn Netzwerke, die ihre Fäden über ganz Niedersachsen legen und die die Arbeit der Hebammen nie wieder leise werden lassen. Danke.
Die Hebammenzentrale ist ein Gewinn für die Region Hannover – und für alle, die in dieser Region Kinder haben, Kinder kennen oder das Wort Kinder schon einmal gehört haben. Sie schafft eine ungeahnte Erleichterung für Hebammen und (werdende) Eltern. Sie schafft Verbindlichkeit, Erleichterung und Möglichkeiten für Austausch. Sie schafft Raum – in jeglicher Hinsicht.
Als meine Hebamme das letzte Mal aus unserer Tür ging, habe ich darüber nachgedacht, wie wir das jetzt alleine schaffen sollen. Wer mir sagt, wo ich am besten welche Hand, welchen Arm, welchen Nippel... Hilfe. Es mag sie nicht überraschen, dass wir das trotzdem hinbekommen haben. Aber ohne diese professionelle Unterstützung wäre nicht nur ich total lost gewesen, sondern ohne Hebammen funktionierten wir nicht mehr. Wir wären nicht mehr.
Deshalb an dieser Stelle ein großer Dank für eure Arbeit und herzlichen Glückwunsch zum fünften Geburtstag – mögen noch ganz viele folgen und eure Arbeit einen großen Einfluss haben!